125 Jahre Rheinbahn: Ein Kraftakt in schwieriger Zeit

Die Rheinbahn feiert 2021 Jubiläum: Seit 125 Jahren ist sie ein wichtiger Motor für Düsseldorf und die Region und prägt deren Geschichte entscheidend mit. Grund genug, um im Laufe des Jahres immer wieder einen Blick auf unsere Historie zu werfen. Alle Beiträge dazu findet Ihr hier.
Im letzten Beitrag ging es um den Zweiten Weltkrieg in Düsseldorf.

In den Trümmern der Stadt herrscht Not und Elend. Kaum ein Düsseldorfer beklagt nicht den Tod von Angehörigen; das Schicksal vieler ist noch unbekannt. Die Zukunftsperspektiven erscheinen düster. Dennoch: Es heißt jetzt Ärmel hochkrempeln und sich für einen Neuanfang einsetzen.

Die Rheinbahn setzt alles daran, Mobilität wieder herzustellen, um ziviles Leben in der Stadt zu ermöglichen und die Wirtschaft in Gang zu bringen. Der Wiederaufbau der Werkstätten ist Voraussetzung für die Instandsetzung der Fahrzeuge und der Infrastruktur. Besonders stark sind die Betriebshöfe an der Erkrather Straße und in Derendorf zerstört, die in unmittelbarer Nähe von Eisenbahnanlagen und Rüstungsbetrieben liegen. Nur noch 30 Straßenbahnen sind zum Kriegsende betriebsfähig.

Trotz der schwierigen Umstände erbringen die Rheinbahner eine große Leistung: Acht Wochen nach dem Einmarsch alliierter Truppen fahren am 8. Juni 1945 die ersten Straßenbahnen nach Gerresheim und Benrath.

Durch die Sprengung der Rheinbrücken ist Düsseldorf eine geteilte Stadt. Also nimmt die Rheinbahn ab dem 12. Juli 1945 erneut den Fährverkehr zwischen der Altstadt und Oberkassel mit dem angemieteten Motorboot „Diamant“ auf. Weitere Fährschiffe kommen hinzu. Rund 50.000 Fahrgäste nutzen täglich die Überfahrt.

Schiff Düssel

Für rund drei Jahre – bis zum Wiederaufbau der Oberkasseler Brücke – sind die Fähren der Rheinbahn die einzige Verbindung im Stadtzentrum zwischen den Rheinufern.

1946 feiert die Rheinbahn ihr 50. Firmenjubiläum. Die Lage des Unternehmens erlaubt keine großen Feierlichkeiten. Die Zahlung einer Jubiläumszulage von 30 RM bis 100 RM stößt auf Kritik. Mancher Rheinbahner hätte für sich und seine Familie lieber etwas zu Essen gewünscht. Nahrungsmittel gibt es nur auf Zuteilung, für das Geld kann man sich kaum etwas kaufen.

Die Aufbauarbeit wird mit Hochdruck fortgesetzt: In zwei Wiederaufbauwerkstätten in den Betriebshöfen Heerdt und Mettmann werden Trieb- und Beiwagen instandgesetzt. Ende 1946 sind so wieder 228 km Straßenbahnstrecken in Betrieb. Die Busse fahren auf 120 km Strecke.

Die Versorgungssituation der Bevölkerung ist weiterhin vollkommen unzureichend. Das belegt der Arbeitsausfall allein durch Erschöpfung und Unterernährung: 10,92 Prozent bei Männern, 8,08 Prozent bei Frauen. Die Rheinbahn versucht die Not der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihrer Familien zu lindern. Sie organisiert Lebensmittel und Brennstoffe und versorgt sie in den Kantinen.

Wichtig ist auch die Verbesserung der Wohnungssituation, denn viele Mitarbeiter wohnen noch in Notunterkünften oder baufälligen Räumlichkeiten. Wo es geht, wird geholfen: Im Betriebshof Heerdt werden nicht benötigte Räume zu Wohnungen umgebaut, Holzhäuser errichtet und Schrebergärten  nutzbar gemacht. Im ersten großen Neubauprojekt entstehen ab 1947/1948 in Siedlungshäusern und dreigeschossigen Wohnbauten rund 100 Wohnungen in Kaiserswerth.

Die britische Militärregierung trifft wichtige Entscheidungen bezüglich neuer politischer Strukturen in Deutschland. So wird am 23. August 1946 das Land Nordrhein-Westfalen gegründet. Düsseldorf wird die Landeshauptstadt. Im Oktober wählen die Düsseldorfer Karl Arnold zu ihrem ersten frei gewählten Oberbürgermeister.

Im strengen Winter 1946/1947 zeigt sich erneut, wie wichtig eine feste Verbindung der beiden Rheinufer ist. An 23 Tagen stellt die Rheinbahn den Fährverkehr aufgrund starken Eisgangs ein. Der Wiederaufbau einer Brücke ins Stadtzentrum wird immer dringlicher. Die neue Oberkasseler Brücke wird 1948 für den Gesamtverkehr eröffnet. Sie war als Provisorium gedacht, wird aber letztendlich zu einer „Dauerbehelfsbrücke“. Bis 1973 – 25 Jahre lang – quälte sich der Verkehr zwischen den beiden Ufern hin und her.

Im Februar 1947 erscheint auch „Das Rad“ wieder. Vorstand und Betriebsrat der Rheinbahn geben die Werkzeitschrift nun gemeinsam heraus.

Einen deutlichen Schub bekommt die wirtschaftliche Entwicklung mit der Währungsreform am 20. Juni 1948. 40 DM „Kopfgeld“ und einen Teil des vorhandenen Vermögens erhält jeder Deutsche. Von einem Tag zum anderen liegen Waren in den Schaufenstern, die man in den vergangenen Monaten zu dringend benötigt hatte.

Das Rheinbahn-Sozialwerk zieht eine Bilanz seiner Unterstützungsleistungen bis zu diesem Zeitpunkt:

  • Zuwendungen in besonderen Notlagen: 84.569 RM
  • Ehestandsbeihilfen: 11.700 RM
  • Geburtsbeihilfen: 6.500 RM
  • 899 Kleidungsstücke, dazu Wäsche, Berufskleidung, Wolldecken, Handtücher, Socken
  • 23 Fahrräder, 289 Fahrraddecken, 400 Fahrradschläuche, 54 Fahrradbeleuchtungen
  • Haushaltsgegenstände (Herde, Öfen, Möbel) für rund 70.000 RM gekauft und an die Mitarbeiter weiterverkauft

Georg Rebbelmund, der 1950 zum Ersten Direktor der Rheinbahn ernannt wird, sieht in der Modernisierung des Fahrzeugparks eine der dringendsten Aufgaben. Personal ist knapp und die zunehmende Konkurrenz mit anderen Arbeitgebern verschärft das Problem. So werden von ihm neuartige vierachsige Wagen in Leichtbauweise bei der Düsseldorfer Waggonfabrik bestellt. Diese hatte ausländische Entwicklungen aufgegriffen und einen grundlegend neuen Fahrzeugtyp entwickelt, der unter anderem deutliche Personaleinsparungen verspricht.

Am 30. Mai 1951 steht das erste Probefahrzeug auf Rheinbahnschienen und ruft ab September im Linieneinsatz auf der „11“ Begeisterung hervor. Die olivgrünen Fahrzeuge in „Stromlinienform“ fallen sofort auf. „Sambawagen“ taufen die Düsseldorfer die neuen Fahrzeuge. Die große Plattform am hinteren Ende scheint mit sanft schaukelnden Bewegungen des Fahrzeugs bei schneller Fahrt zu einem Tanz einzuladen. Die Serienfahrzeuge werden 1951 bis 1956 ausgeliefert. Und die Düsseldorfer Fahrgäste müssen sich noch an etwas Neues gewöhnen: den „Fahrgastfluss“. Nur noch an der hinteren Tür ist der Zutritt erlaubt. Dort hat der Schaffner erstmalig seinen festen Arbeitsplatz. Nach den gleichen Baugrundsätzen werden vier Dreiwagenzügen gebaut und 1953 auf der Linie K nach Krefeld in Betrieb genommen. Auch die Tradition der Speisewagen nimmt die Rheinbahn mit zwei Beiwagen, die ein Küchen- und Speiseabteil besitzen, auf dieser Strecke wieder auf.

Weiterhin nehmen die Bemühungen des Unternehmens, die soziale Situation der Mitarbeiter zu verbessern, großen Raum ein. Die allergrößte Not ist gelindert, dennoch ist die Lebenssituation – insbesondere die Wohnungssituation – noch lange nicht zufriedenstellend. Welche Bedeutung die Personal- und Sozialangelegenheiten für die Rheinbahn haben, zeigt die Berufung des Leiters des Sozialwerks Friedrich Fromme in den Vorstand. Damit wird faktisch die Position eines „Arbeitsdirektors“ geschaffen, die 1976 – erst rund 25 Jahre später – mit dem Mitbestimmungsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland offiziell eingeführt werden wird.

Ob in der Zukunft auch die Straßenbahn zu den öffentlichen Verkehrsmitteln in Düsseldorf gehören soll, wird zunehmend hinterfragt. Der Individualverkehr wird zu einer wachsenden Konkurrenz für die Verkehrsbetriebe. Der Kampf um die Verkehrsflächen beginnt. Viele Städte fällen in dieser Zeit den Entschluss, ihre Straßenbahnbetriebe einzustellen.

Georg Rebbelmund präzisiert im Juli 1955 die Vorstellungen der Rheinbahn für den zukünftigen Stadtverkehr: Die Straßenbahn muss erhalten bleiben und ein konkurrenzfähiges Angebot bieten. Wichtige kurzfristige Voraussetzungen sind dazu: Neben der Königsallee sollen weitere belastete Nord-Süd-Verbindungen straßenbahnfrei werden (Duisburger Straße, Jacobistraße, Tonhallenstraße, Oststraße) oder stark entlastet werden (Breite Straße und Kasernenstraße), große Verkehrsknoten sind zu unterfahren. Trotz der Kosten wird in Zukunft eine zweite Verkehrsebene erforderlich sein. Eine „Untergrundbahn“ ist jedoch noch eine Vision. Schwach genutzte Verkehrsbeziehungen sollen dem Omnibus oder dem Oberleitungsbus vorbehalten sein.

Viele Straßenzüge sind mittlerweile aufgebaut; die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs beseitigt. Jedoch lassen die Trümmergrundstücke immer noch die Möglichkeit einer grundlegenden Neuordnung der Verkehrsflächen offen. Der vom Düsseldorfer Stadtplaner Friedrich Tamms vorgeschlagene Neuordnungsplan sieht daher den Bau einer neuen Nord-Süd-Verbindung in der Innenstadt vor. Von 1954 bis 1962 entsteht so eine je Richtung dreispurige Autostraße mit einer Straßenbahntrasse in der Mitte. Sie ist auf den zukünftigen Autoverkehr in einer „autogerechten Stadt“ ausgerichtet.

Letztmalig können die Düsseldorfer am 15. Juli 1955 mit der Straßenbahn über die Königsallee fahren. Am nächsten Morgen nimmt die „10“ den Weg über die neue Straße, die noch keinen Namen besitzt. Am 23. September 1960 besucht Berlins regierender Oberbürgermeister Willy Brandt Düsseldorf und gibt der Nord-Süd-Verkehrsachse den Namen „Berliner Allee“.

Nur vier Jahre nach dem ersten Großraumwagen kündigt die Presse im Dezember 1955 eine „Revolutionierung des Straßenbahnverkehrs“ an. Die Düsseldorfer Waggonfabrik bringt sechsachsige Gelenkwagen auf den Markt. Die ersten drei Fahrzeuge werden ab März 1956 auf der Linie 1 eingesetzt. 95 Fahrzeuge werden bis 1965 folgen.

Im Juni 1957 beginnt der Probeeinsatz noch größerer Fahrzeuge: achtachsige Doppelgelenkwagen. Bis 1969 werden 56 Fahrzeuge geliefert. Drei Achtachser werden im Mittelteil mit einem Speiseabteil ausgestattet, um diesen typischen Rheinbahn-Komfort auch auf der Fernlinie D nach Duisburg anzubieten. Die DÜWAG-Fahrzeuge werden für rund 50 Jahre das Bild der Rheinbahn in der Stadt bestimmen.

Die Personalsituation ist weiter schwierig. Das „Wirtschaftswunder“ nimmt Fahrt auf und führt zu einer starken Konkurrenz im Kampf um Arbeitskräfte. Arbeitnehmer finden anderswo bessere Verdienstmöglichkeiten und das bei attraktiveren Arbeitszeiten. Lohn- und Preissteigerungen erhöhen die Kosten. Dazu kommt die Forderung der Gewerkschaften nach einer 35-Stunden-Woche, die die Einstellung von 300 neuen Mitarbeitern notwendig macht. Unpopulär, aber unvermeidbar ist die damit verbundene deutliche Erhöhung der Fahrpreise ab 1. April 1957.

Ein großer Tag für den Omnibusbetrieb ist der 30. März 1957. In zentraler Lage am Hauptbahnhof hat die Rheinbahn fünf Millionen DM in den neuen Omnibusbetriebshof Eintrachtstraße investiert. Nun feiert sie Richtfest. 250 Busse können in der größten freitragenden Spannbetonhalle Europas täglich gewartet werden.

Trotz der immer stärker werdenden Konkurrenz des Individualverkehrs benutzen rund 690.000 Fahrgäste täglich Bahnen und Busse der Rheinbahn. Mit rund 20 Millionen DM kann das Unternehmen 1959 noch einen Gewinn erwirtschaften.

Informationen zum Autor:

Hans Männel arbeitet in der Unternehmenskommunikation der Rheinbahn. Sein besonderes Interesse gilt der Geschichte des Nahverkehrs in der Region. Er ist Vorsitzender der „Linie D – Arbeitsgemeinschaft historischer Nahverkehr Düsseldorf“. Die Mitglieder des Vereins haben das Ziel die Düsseldorfer Verkehrsgeschichte – in enger Zusammenarbeit mit der Rheinbahn – „erfahrbar“ zu erhalten.