„Wir holen die Menschen da ab, wo sie sind.“

Eine grüne Oase haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des AWO-Seniorenzentrums Georg-Glock-Haus in Lierenfeld für die 44 Bewohnerinnen und Bewohner geschaffen. Etwas sticht hervor: Mitten in dem liebevoll gestalteten Garten der Einrichtung mit Fokus auf Demenzpatienten steht das Rheinbahn-Haltestellenschild „Georg-Glock-Haus“. Daneben eine Bank. Auch An- und Abfahrtszeiten der Bahnlinie 705 sind angeschlagen. Alles sieht aus wie an einer echten Haltestelle. Doch das „Georg-Glock-Haus“ findet sich in keinem Netzplan Düsseldorfs wieder und in dem Garten zwischen Teich, Tulpen und bunt bemalten Ostereiern fährt weder Bus noch Bahn.

Das Haltestellenschild „Georg-Glock-Haus“ hat einen anderen Zweck: Menschen, die sich auf ihr Gedächtnis nicht mehr immer verlassen können, etwas Normalität schenken. Denn bei Demenz- oder Alzheimer-Erkrankten leidet zunehmend das Kurzzeitgedächtnis. Sie leben mehr und mehr in der Vergangenheit und sehnen sich oft in eine längst gewesene Zeit und in ihre alte Umgebung zurück. Das schafft viel Unruhe und sorgt dafür, dass sie oft nur eines wollen: Nach Hause!

„Wir nehmen unsere Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer empfundenen Realität ernst“, betont Jessica Welksi, Diplomsozialpädagogin vom Sozialen Dienst der AWO Düsseldorf. Deshalb haben sie und ihre Kolleginnen und Kollegen es sich zu Aufgabe gemacht, so viel wie möglich auf die Wünsche der Menschen mit Demenz einzugehen.

Das Haltestellenschild ermöglicht ihnen Dialog und Begleitung auf Augenhöhe. Zur Haltestelle gehen, dort auf Bus oder Bahn warten, das kennen viele von uns. Auch Demenzerkrankte können sich an diesen gewohnten Ablauf häufig erinnern. Solche Ankerpunkte im Gedächtnis nutzen Jessica Welksi und die anderen Mitarbeitenden im Georg-Glock-Haus für Gedächtnistraining und Erinnerungsarbeit. „Wir wollen so viel Selbstständigkeit erhalten, wie es nur geht. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner sollen immer das Gefühl haben: Ich selbst entscheide“, beschreibt Jessica Welski.

Und so haben sich schon einige entschieden, an der Haltestelle „Georg-Glock-Haus“ auf die Bahn zu warten. Mitarbeitende nutzen diese Gelegenheit, um in persönlichen Kontakt zu kommen: Sie stellen Fragen, lassen Bewohnerinnen und Bewohner erzählen und sich erinnern. Dabei kann auch die ein oder andere lustige Anekdote ans Licht kommen.

Und was, wenn nach längerem Warten einfach keine Bahn kommt? „Auch im echten Leben passiert das ja mal“, sagt Jessica Welski und lacht. „Unsere Seniorinnen und Senioren wissen, dass Unfälle, Streiks oder Verspätungen passieren. Ich frage dann einfach: Wollen wir nicht reingehen und einen Kaffee trinken, bis die Bahn kommt? Das klappt immer.“

Haltestellenschild Georg-Glock-Haus

Das Haltestellenschild im Garten des Georg-Glock-Hauses

Natürlich wird auch kontrovers diskutiert, ob es in Ordnung ist, dementiell Erkrankten etwas vorzuspielen. „Wir holen die Menschen da ab, wo sie sind“, sagt Jessica Welksi. „Wir nehmen sie in ihrer empfundenen Situation ernst, bieten ihnen eine Lösung, eine verfügbare, sichtbare und sichere Möglichkeit, ihrem Bedürfnis nachzugehen.“

Wir finden: Jessica Welski und ihre Kolleginnen und Kollegen im Georg-Glock-Haus leisten mit ihrem Engagement für Menschen mit Demenz tolle Arbeit. Damit sind wir übrigens nicht die Einzigen. Letztes Jahr hat die Einrichtung für ihr kreatives Konzept den Pflege-Award der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) gewonnen. Die Rheinbahn freut sich, mit der Mini-Haltstelle einen Teil dazu beizutragen, dass Menschen, die manchmal einfach nur weg wollen, sicher ankommen.