Zeitreise mit der Linie 701

Auch wenn sich der Weg unserer Straßenbahnlinien über viele Jahrzehnte immer wieder verändert hat, so haben die Strecken, auf denen sie fahren, eine lange Tradition. Wo unsere Bahnen heute durch den Tunnel rauschen oder durch tiefe Häuserschluchten fahren, sind vor weit über 100 Jahren schon die ersten Straßenbahnen an verträumten Landhäusern oder längst bebauten Wiesen vorbeigekommen. Heute gehen wir auf Zeitreise mit der Linie 701 und schauen, was zwischen den Haltestellen „Rath S“ und „Am Steinberg“ früher so alles los war – und vielleicht sehen Sie die nächste Fahrt mit der 701 dann mit ganz anderen Augen!

Unsere Bahn startet ihre Fahrt an der Haltestelle „Rath S“ – heute ein S-Bahnhof wie viele andere in der Stadt. Doch vor mehr als 100 Jahren war Rath noch ein Industriestandort mit Stahlwerk, Gummi- und Maschinenfabriken und der Bereich rund um unsere heutige Wendeschleife war das quirlige Zentrum des „rheinischen Ruhrgebiets“. Überall qualmten die Schlote, tummelten sich Menschen, die in den Werken zur schweißtreibenden Schicht wollten – die Straßenbahnen haben dort ab dem Jahr 1909 schon eine sehr wichtige Rolle gespielt. An der Haltestelle „Rotdornstraße“ vorbei rollt unsere 701 noch heute durch die Geschäftsstraße von Rath, den letzten Industriebauten am Gatherhof sind erst vor kurzem die Bagger zu Leibe gerückt. Wir erreichen die Haltestelle „Rath Mitte S“ – und sehen: Kriegsreste! Achten Sie beim nächsten Mal auf das einstöckige Gebäude, das die Linie 701 in Richtung „Am Steinberg“ rechts hinter der Haltestelle passiert: Das Haus ist nach dem Krieg wieder provisorisch hergerichtet worden, aber bis heute fehlen die oberen Stockwerke.

Wir verlassen Rath – und das merken wir auch an der Haltestelle „Am Schein“, denn Schein bedeutet in dem Fall nichts anderes als Grenze. Apropos Grenze: Ein paar hundert Meter weiter erreicht unsere 701 einen weit über die Düsseldorfer Stadtgrenzen hinaus bekannten, fast immer verstopften Knotenpunkt: Das Mörsenbroicher Ei. Heute treffen hier die Bundesstraßen 7 und 8 zusammen, die A52 pumpt morgens tausende Autos auf das „Ei“. Als die Rheinbahn neben der heutigen Haltestelle „Heinrichstraße“ 1925 den Betriebshof Derendorf eröffnet hat, konnten unsere Vorfahren die Autos dort noch an einer Hand abzählen. Der Betriebshof ist seit 1991 Geschichte und stand dort, wo heute ein Autohändler edle Karossen mit Stern anbietet.

So wünschen sich viele heute das Mörsenbroicher Ei: staufrei! 1954 war unser Betriebshof in Derendorf noch vergleichsweise jung

Die Straßenbahnlinie 701 bietet perfekte Verbindungen zu den S-Bahnen in Düsseldorf, auch an der Haltestelle „Derendorf S“. Die Eisenbahnstrecke, über die unsere Bahnen hier fahren, gab es schon, als an die Erfindung „Straßenbahn“ noch gar nicht zu denken war. 1846 ist der Abschnitt der Cöln-Mindener Eisenbahn zwischen Düsseldorf und Duisburg in Betrieb gegangen und war der Motor für die Industrialisierung. Der Bereich entwickelte sich schnell zum größten Güterbahnhof in Westdeutschland, an dem unzählige Dampfloks meterhohe Rauchsäulen in die Luft schleuderten und Derendorf in einer leichten Dunstdecke verschwinden ließen. Heute? Erinnert daran nichts mehr! Die kilometerlangen Gütergleise sind größtenteils dem neuen Stadtquartier an der Toulouser Allee gewichen, der Schlachthof und die legendäre Schlösser-Brauerei sind verschwunden, heute bildet hier die Hochschule Düsseldorf aus.

Mittlerweile ist unsere Bahn im Zentrum von Derendorf angekommen, an der Haltestelle „Münsterplatz“. So wirklich einladend ist der heute nicht mehr, oder? Also zumindest nicht, wenn wir ihn mit früher vergleichen. Ursprünglich war hier mal der Derendorfer Markt angesiedelt und es gab eine Wendeschleife für Straßenbahnen inklusive einem kleinen Betriebshof. Dass der geschlossen wurde, ist allerdings über 90 Jahre her – es wird also mit ziemlicher Sicherheit keinen einzigen Fahrgast mehr in der 701 geben, der sich daran noch erinnern kann.
Die Bahn klackert weiter über die Gleiskreuzung am Dreieck, eingerahmt von hohen Häusern, Therme, Drogeriemarkt und Kreuzkirche. Für unsere Fahrgäste ein gewohnter Anblick. Kaum vorstellbar, dass all das vor etwas mehr als 100 Jahren einfach nicht da war. In Höhe des Dreiecks stand das Collenbach’sche Gut, ein Landhaus mit Englischem Garten. Ende des 19. Jahrhunderts war es ein beliebter Künstlertreff. 1903 war Schluss – das Gut wurde abgerissen, um der immer weiter wachsenden Stadt Platz zu machen. Aber die Collenbachstraße erinnert heute noch an den ansonsten längst vergessenen Hof.

„Ding Dong: Nordstraße U-Bahnhof“, tönt es aus den Lautsprechern der Bahn. Wir halten an Düsseldorfs erstem Flughafen. Natürlich sind hier nie moderne Düsenjets gestartet, aber als Startplatz für Heißluftballons ist der Bereich vor über 200 Jahren sehr beliebt gewesen. Damals fuhren die Menschen noch nicht Straßenbahn, sondern Kutsche. Zum Beispiel auch Kaiser Napoleon. Wo heute unsere Fahrgäste in den Tunnel zu den Linien U78 und U79 strömen, ist im Jahr 1811 Napoleon zu einem Stadtbesuch angerückt. An der Nordstraße war damals die Grenze zu Düsseldorf – Napoleon zu ehren heißt die Straße ab dort bis heute Kaiserstraße. Wir fahren mit unserer 701 also auf historischen Pfaden, auf denen schon die Promis des 19. Jahrhunderts unterwegs waren.

Mittlerweile sind wir mitten in der City angekommen – links und rechts die Klassiker der Düsseldorfer Stadtgeschichte: Der Hofgarten und das Kloster der Clarissinnen. Die Straßenführung hat sich hier in den vergangenen hundert Jahren komplett geändert. Früher gab es eine alte Hofgartenstraße in Richtung Altstadt, Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat die Stadt mit dem Tausendfüßler und dem Jan-Wellem-Platz einen der verkehrsreichsten Knotenpunkte Europas aus dem Boden gestampft. Mittlerweile sind die meisten Bahnlinien in den Tunnel abgetaucht, auf dem Jan-Wellem-Platz steht der Kö-Bogen. Gerade hier haben wir in den vergangenen Jahren eine Veränderung miterlebt, von der unsere Fahrgäste im Jahr 2080 wohl sagen werden: Was? So sah es da mal aus?

Die alte Hofgartenstraße im Jahr 1955. Daran erinnert heute nichts mehr.

Hier, in der Innenstadt stellen wir uns diese Frage heute schon. Rund um die Steinstraße und die Berliner Allee war kurz vor Einführung der ersten Düsseldorfer Pferde-Bahnen vor rund 150 Jahren noch nicht viel los: Einfache Feldwege führten teils noch zu Höfen und Betrieben. Die später gebauten prunkvollen Stadthäuser haben den Krieg häufig nicht überlebt – und selbst unversehrte Häuser wurden nach dem Krieg abgerissen, um breite Schneisen für den zunehmenden Verkehr in die Stadt zu schlagen.

Auf der Corneliusstraße kommt die Linie 701 am Fürstenwall vorbei und damit an der Stelle, wo Düsseldorf vor rund 300 Jahren schon zu Ende war. Kurfürst Jan Wellem wollte die Stadt damals eigentlich erweitern, ging aber nicht – er hatte nicht genug Geld. Das Geld hatten dann später andere, heute endet die Linie 701 zwar am Betriebshof „Am Steinberg“, aber die Grenzen der Stadt hat sie damit natürlich längst noch nicht erreicht …

Unser Betriebshof Am Steinberg ist heute Endpunkt der Linie 701. Nur die Bahnen sind deutlich moderner.