Vom Traum, eine tote Bahn zum Leben zu erwecken

Sie sind zwischen 19 und 23 Jahren alt – und verbringen ihre Wochenenden nicht wie andere Jugendliche in der Altstadt, auf Partys oder in der Disco, sondern auf den Betriebshöfen der Rheinbahn. Nicknames wie „Pufferknutscher“ oder „Tramspotter“ sind sie gewohnt – und das, was sie tun, ist oft ein Knochenjob, für den wenige Verständnis haben. Und trotzdem tun sie es gerne und nichts lieber als das: Alte Bahnen auf Vordermann bringen.

Phillip Breuer (19), Julian Zimmermann (21) und Fabian Mundt (23) heißen die Jungs vom Verein „Linie D“, der sich seit 1992 um die historischen Fahrzeuge der Rheinbahn kümmert. Die rund 130 Mitglieder sind nicht nur bei Oldie-Rundfahrten als Fahrer und Schaffner ehrenamtlich aktiv, sondern arbeiten auch in verschiedenen Gruppen, zum Beispiel „Modellbau“ oder „Archiv und Dokumentation“. Die Aufgabe der AG „Fahrzeuge“ ist es, historische Bahnen und Busse zu restaurieren, Ersatzteile zu beschaffen und einzubauen oder abgestellte Fahrzeuge wieder aufzupäppeln. Das letzte Projekt ist eine Stadtbahn des Typs GT8SU, der Wagen Nummer 3206. Zwei „alte Hasen“ unterstützen die Jugendlichen, Heinz-Willi Lietzow (51) und Jörg Pentz (55), ebenfalls von der Linie D.

Rot-Weißer schlummert in der Abstellhalle
Alles fing damit an, dass Julian die rot-weiße Bahn auffiel, die versteckt zwischen anderen Oldies in der Wagenhalle des Betriebshofes Heerdt schlummerte. Seit 2001 abgestellt, war sie noch im Originalzustand, während ihre Schwestern zu diesem Zeitpunkt auf die Reise nach Berlin zur Verjüngungskur gingen und im silbergrauen Gewand zurückkamen. Damit war der Wagen Nummer 3206 der letzte seines Typs, der einzige originale GT8SU aus dem Jahr 1973 mit der damals brandneuen rot-weißen Farbgebung in den Düsseldorfer Stadtfarben.

„Die abgestellte Bahn wurde als Ersatzteillager genutzt. Im Innenraum stand alles Mögliche herum, von Aluminiumprofilen bis hin zu kompletten Türen. Gleichzeitig schlachtete die Werkstatt brauchbare Teile aus“, berichtet Julian Zimmermann. Sein Ehrgeiz, den 3206 aufzuarbeiten, war geweckt. „Ich hatte schon bei der Restaurierung anderer Bahnen geholfen. Ich fragte herum, wer mitmachen wollte, gründete eine Gruppe bei Facebook – und am 1. Juni 2013 fingen wir an.“ In mühevoller Kleinarbeit räumten Julian, Fabian und Phillip das Fahrzeug aus, reinigten die verdreckten Scheiben und den völlig verstaubten Innenraum, tauschten kaputte Sitze aus.

 

Fleiß und Enthusiasmus
Klingt frustrierend, aber die Jungs gaben nicht auf. Samstag für Samstag, manchmal auch werktags bis zum späten Abend, in jeder freien Minute, schufteten sie stundenlang am „O Six“, wie die Jugendlichen den Wagen neudeutsch nennen. Lächelnd erzählt Phillip Breuer: „Selbst meine Eltern wunderten sich, warum ich am Wochenende freiwillig so früh aufstand. Aber das war es mir wert.“ Nach und nach offenbarte sich der unglaubliche Umfang des Projekts: „Es fehlten fast 50 Prozent der Elektrik im Innenraum, Dachaufbauten waren nicht mehr vorhanden, genauso wie zwei Fenster und verschiedene Anbauteile. Bis auf die Notbeleuchtung, die Schienenbremse und das Notsignal funktionierte eigentlich gar nichts.“ Phillip machte damals gerade Abi, Julian war BWL-Student, einzig Fabian als Elektroniker für Betriebstechnik war am Anfang des Projektes „vom Fach“. Trotz vieler Tipps, die sich die Jungs von den Technikern der Linie D holten, wurde selbst dem Enthusiasten Zimmermann nach einigen Wochen klar: „Diese Karre wird im Leben nicht mehr fahren.“

Die Rettung nahte durch den Rheinbahner Heinz-Willi Lietzow, Energieanlagenelektroniker in unserer Betriebswerkstatt Bahn. Er nahm Kontakt mit Zimmermann auf und brachte nach kurzer Zeit seine Fähigkeiten in der AG ein. „Ohne Heinz hätten wir den 3206 nur optisch auf Vordermann bringen können, ihn aber niemals zum Fahren gekriegt“, so Julian, der seinem Traum nun schrittweise näher kam.

Arbeit und Hobby
Mittlerweile werfen die drei Jugendlichen mit Fachbegriffen nur so um sich: es geht um den „Schleppschalter“, einen „hochohmigen Eingang“ oder das „Aufbügeln“. Lietzow hat ihnen eine Menge beigebracht, sie selbst „klauen mit den Augen“, gucken zu, probieren aus und lernen schnell. Natürlich opferte auch Lietzow seine Freizeit, nach dem Dienst arbeitete er am 3206 weiter: „Ich war schon immer ein Bastler. Vor 25 Jahren habe ich bei der Rheinbahn angefangen, als Azubi. Inzwischen ist meine Arbeit auch mein Hobby – oder mein Hobby meine Arbeit. Deswegen macht es auch so großen Spaß!“

Schrittweise haben die vier Tüftler das Fahrzeug mit Ersatzteilen wieder komplettiert und repariert, auf der Grube von unten beleuchtet, um sicher zu gehen, dass relevante Teile vorhanden und unversehrt sind. Entwarnung: Alles bestens. Im Januar 2014 dann ein Licht am Horizont: Unter größter Vorsicht und mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen startete die AG den Versuch, den Stromabnehmer des „O Six“ zu heben – mit Erfolg, der Umformer des Wagens sprang nach 14 Jahren Standzeit sofort wieder an und liefert seitdem die nötige Spannung; fahrbereit war der Wagen aber noch lange nicht.

Zu diesem Zeitpunkt kam der fünfte im Bunde zur AG dazu: Jörg Pentz, der bei einem Mobilfunkunternehmen arbeitet. Gemeinsam ging die Schufterei weiter: „Die Bahn war nun wieder mit Spannung versorgt, daher konnten wir uns endlich die Teile schnappen, die für den Fahrbetrieb wichtig sind“, so Zimmermann. Sie nahmen die Federspeicher wieder in Betrieb, so dass sie den Wagen nicht mehr mühsam mit Hemmschuhen bremsen mussten. Die Heizkörper liefen, die Messung der Motorenwerte verlief positiv, der Fahrstromautomat funktionierte. Dann der Durchbruch im März 2014: „Spät abends haben wir den ersten Fahrversuch unternommen, welcher auch prompt erfolgreich war. Wir haben uns super gefreut, aber es gab noch Kinderkrankheiten“, berichtet Fabian. Schließlich waren auch diese beseitigt, die Bahn fährt störungsfrei – allen Unkenrufen zum Trotz.

Perfektion und neuer Glanz
Wer denkt, die Arbeiten seien damit abgeschlossen, kennt die Perfektion der Jugendlichen nicht. In den nächsten Monaten haben sie die rund 40 Kilo schweren Türflügel ausgetauscht, da diese durch die Feuchtigkeit aufgequollen waren. Sie haben einen Riss in der Decke beseitigt, originale orangene Entwerter eingebaut, den Funk aktiviert und neue Bremsbeläge montiert. Zum Schluss haben sie den kompletten Boden abgeschrubbt und eingefettet, so dass nun alles in neuen Glanz erstrahlt. „Damit ist unser Ziel erreicht, den 3206 funktionsfähig zu machen und ihn dauerhaft zu erhalten“, so Julian. „Wir warten jetzt darauf, dass er als Oldiebahn eingesetzt werden darf und endlich wieder durch die Stadt fahren kann.“