Moderne Technik im alten Tunnel: 170 Kilometer Kabel und über 30 Millionen Euro für ein neues Zugsicherungssystem samt Stellwerk
In den Katakomben der Heinrich-Heine-Allee versteckt sich eine eigene Welt, die kein Fahrgast jemals zu Gesicht bekommt. Hinter verschlossenen Türen lange Gänge, Schächte, Kabel, Rechner. Auch das Stellwerk verbirgt sich hier, das die Fahrstraßen und Weichen für die U-Bahnen im alten Tunnel legt. Es stammt, genau wie die gesamte Zugsicherungstechnik, im Wesentlichen aus den 1980er-Jahren; die Hardware konnte seit damals fast gar nicht weiterentwickelt werden. Das hat sich in den letzten gut drei Jahren geändert: Seither arbeitet die Rheinbahn gemeinsam mit Siemens im Hintergrund an der Migration des komplexen Systems und hat rund 31,5 Millionen Euro investiert.
Was ist ein Zugsicherungssystem?
In einem Tunnel sind immer größere Sicherheitseinrichtungen gefordert als an der Oberfläche. Schließlich ist die Sicht zeitweise durch Kurven eingeschränkt und Entfernungen sind nicht gut einschätzbar, weil Bezugspunkte fehlen. Deshalb schreibt die Technische Aufsichtsbehörde (TAB) eine Zugsicherung vor. So können die U-Bahnen trotzdem bis zu 80 km/h fahren, ohne dass die Gefahr eines Auffahrunfalls besteht, sollte die Vorgänger-Bahn aus irgendeinem Grund noch auf der Strecke stehen.
Das funktioniert im alten Teil des Düsseldorfer Tunnels und im Duisburger Tunnel derzeit über eine sogenannte „linienförmige Zugbeeinflussung (LZB)“, die die Bahnen automatisch führt. Viele Fahrgäste merken gar nicht, dass die Fahrer nicht selbst fahren; sie sitzen auch weiterhin vorne in der Bahn, überwachen die Abläufe und können jederzeit eingreifen.
Linienförmig und punktförmig
Im neuen Wehrhahn-Tunnel dagegen steuern die Fahrer die Züge selbst, allerdings mit kontinuierlicher Überwachung. Hier kommt eine „punktförmige Zugbeeinflussung (PZB)“ zum Einsatz, ähnlich dem System bei der Deutschen Bahn. Dabei zeigen Signale die Fahraufträge für die Fahrer an, wie bei den Ampeln im Straßenverkehr – in den bekannten Farben Rot, Gelb und Grün. Rot, logisch, steht für Halt. Grün steht für Fahrt frei, grün mit gelb bedeutet Fahrt frei, aber nur mit reduzierter Geschwindigkeit.
Diese Geschwindigkeit dürfen die Fahrer bis zum Erreichen des nächsten Signals nicht überschreiten, sonst greift das System ein und bremst den Zug unter die erlaubte Höchstgeschwindigkeit ab. Würde ein Fahrer ein rotes Signal nicht beachten, wird die Bahn sofort zwangsgebremst. Dieses System kommt nun auch im restlichen Tunnel zum Einsatz.
Aus alt mach neu
Über die letzten 30 Jahre gab es (fast) keine Weiterentwicklung und Migration auf neue Hardware. „Die letzte große Innovation war der Austausch der Diskettenlaufwerke vor rund zehn Jahren. Seit einiger Zeit ist die Versorgung mit Ersatzteilen problematisch, meist sind nur noch Reparaturen möglich, Neubeschaffungen schon seit Jahren nicht mehr“, berichtet Projektleiter Uwe Kietzmann. Deswegen hat die Rheinbahn sich entschieden, das Stellwerk und die Zugsicherungstechnik im alten Tunnel auszutauschen und auf den gleichen Stand zu bringen wie im Wehrhahn-Tunnel.
Mammutprojekt unter „rollendem Rad“ abgewickelt
In den letzten über drei Jahren hat die Rheinbahn gemeinsam mit Siemens die komplette Innen- und Außenanlage unter „rollendem Rad“ und in der zweistündigen Betriebsruhe nachts neu montiert und getestet. Das Stellwerk, das noch in Relais-Technik aufgebaut ist, wird durch ein elektronisches ersetzt. Damit können die Mitarbeiter in Zukunft die Anlage von verschiedenen Orten aus bedienen; die große Stelltafel in der Leistelle wird überflüssig. Natürlich müssen auch die Fahrzeuge die entsprechende Technik bekommen, damit sie mit dem System „kommunizieren“ können. Auch am Fahrerarbeitsplatz kommt ein neues Bedienteil zum Einsatz, die Fahrer müssen entsprechend geschult werden – ein Mammutprojekt mit beeindruckenden Zahlen:
• Signale: 230
• Weichen: 78
• Verlegte Kabel: 170 Kilometer
• Projektvolumen: 31,5 Millionen Euro
Da die Umrüstung der Fahrzeuge und die Schulungen vor Kurzem erst begonnen haben, müssen das alte und das neue System erstmal parallel laufen – bis etwa 2024. Bis dahin soll auch in Duisburg die Zugsicherung umgestellt sein. Die neuen HF6-Fahrzeuge sind bereits mit der neuen Technik ausgestattet.
Sperrung des alten Tunnels
Bis auf wenige Restleistungen ist inzwischen alles fertig. Um die alte Technik aus den 1980er-Jahren abzuschalten, die Signale auszutauschen und alles auf die moderne Version umzuswitchen, ist eine nächtliche Vollsperrung des alten Tunnels nötig – und zwar am Sonntag, 7. April, ab etwa 18 Uhr, bis zum nächsten Morgen gegen 4 Uhr. Einige U-Bahn-Linien können schon ab 17 Uhr nicht mehr durch den Tunnel fahren. Welche genau das sind erfahren Sie hier.
Information
Die Rheinbahn legt rund 2.000 Handzettel mit allen wichtigen Informationen in den KundenCentern und an der DB-Info im Hauptbahnhof aus. Zusätzlich sorgen rund 40 verschiedene Durchsagen in den Bahnhöfen und Fahrzeugen sowie 120 Aufkleber an den Ausgängen der U-Bahnhöfe für die richtige Orientierung. An den Knotenpunkten „Heinrich-Heine-Allee“ und „Hauptbahnhof“ sind 15 Mitarbeiter als Ansprechpartner für die Fahrgäste im Einsatz.
Entsetzlicher Rückschritt. Jahrzehntelang fahren die Stadtbahnen annähernd autonom und sicher durch den Tunnel, nun möchte man auf den Fahrerbetrieb zurück schwenken. Das wird nicht nur die Kapazität des Tunnels erheblich eindämmen (auch wenn es jetzt noch niemand offiziell zugeben möchte), sondern auch das Unfallrisiko erhöhen. Wenn die LZB heute ausfällt und die Fahrer selbst übernehmen müssen hat das nichts mit Komfort und Sicherheit zu tun, wenn sie sich vor dem Signal erschrecken und schnellbremsen.
An der Stelle rate ich immer, nach Nürnberg zu sehen, wo ein großartiges Projekt realisiert wurde und nun ein sehr zuverlässiger Ein-Minutentakt (!) völlig ohne Fahrer gefahren werden kann.
Hallo,
die Nürnberger U-Bahn ist sicher ein großartiges, aber auch ein sehr aufwändiges Projekt. Allerdings ist dafür auch eine erheblich höhere Investitionssumme nötig. Das System, für das die Rheinbahn sich entschieden hat, kostet nur ein Drittel von dem, was eine Erneuerung der Zugsicherung und des Stellwerks in LZB-Form gekostet hätte. Es macht auch nur dann Sinn, wenn man ein reines U-Bahn-System hat. Da unsere Linien Stadtbahnen sind, die nicht ausschließlich im Tunnel fahren, könnte man ohnehin nicht auf Fahrer verzichten.
Das neue Fahren nach Signalen mit Überwachung durch die Fahrzeuggeräte kann man nicht mit der Rückfallebene „Fahren auf Sicht“ der LZB vergleichen, weder vom Sicherheitslevel, noch von der Zugdichte her. Im neuen System können Züge durch die nun vorhandenen Einfahrsignale dichter zu den Bahnhöfen aufrücken, bei denen der Fahrgastwechsel schon mal länger dauert. Nächtliche Tests mit den Zügen haben bewiesen, dass wir bei normaler manueller Fahrweise nicht langsamer werden. Unsere Fahrer sind darin routiniert, weil sie sowohl an der Oberfläche manuell fahren, als auch seit zwei Jahren in der Wehrhahnlinie damit völlig problemlos umgehen. Viele Grüße Heike Schuster
Zu der Zugbeeinflussung habe ich eine Frage: Sie schreiben, dass die Bahnen im Wehrhahntunnel von der punktförmigen Zugbeeinflussung kontinuierlich überwacht werden. Bei der PZB erfolgt die Überwachung aber doch nur punktuell, über Koppelspulen bzw. Gleis- und Fahrzeugmagnete. Wie kann die PZB also die kontinuierlich die Geschwindigkeit überwachen?
Hallo,
bei der Rheinbahn wird mittels Koppelspule zusätzlich ein Geschwindigkeitsprofil übertragen. Das Fahrzeuggerät überwacht die Geschwindigkeitskurve kontinuierlich.
Da aber kein ständiger Datenaustausch mit der Strecke erfolgt (wie bei der LZB), ist es rein sachlich eine PZB.
Viele Grüße
Heike Schuster
Angesichts des Rückschrittes wird die Beobachtung der Entwicklung des innenstädtischen ÖPNV Düsseldorfs in den kommenden Jahrzehnten sehr interessant.
Warum ist die Umstellung der Stadtbahnlinien erst mit zwei Jahren Verspätung fertig geworden?
Hallo,
etwas verspätet ja, aber keine zwei Jahre. Beim Testen des Systems sind noch ein paar Fehler aufgetreten, daher wurde die Umstellung etwas verschoben (von November auf März). Bei solch großen Projekten spielen ganz viele Faktoren mit rein: Neben Fehlern, die immer auftreten können und dann erst korrigiert werden müssen, darf zum Beispiel auch die Abhängigkeit zu anderen Projekten nicht vergessen werden.
Viele Grüße Katharina Natus
Cooler Beitrag, bin jetzt erst drauf gestoßen. Danke für diesen Blick hinter die Kulissen, Zugsicherung ist sowieso immer ein interessantes Thema.
In Köln gibt es ja sehr Ähnliche Tunnel, haben die dann dort auch PZB? Teilweise fahren die Bahnen dort ja auch 70-80 km/h im Tunnel.