Lauschangriff in der Rheinbahn

Das hat jeder schon einmal erlebt: Man sitzt in der Bahn und die anderen Fahrgäste unterhalten sich am Handy oder mit ihrem Gegenüber über Dinge, die man normalerweise in der Öffentlichkeit nicht preisgeben würde. Man möchte eigentlich gar nicht hinhören, aber es bleibt einem nichts anderes übrig. Erkan Dörtoluk kennt das auch: „Ich bin immer wieder erstaunt, was die Leute in der Bahn alles von sich und ihrem Leben erzählen. Sie fühlen sich anscheinend genauso wohl wie zu Hause.“ Und so gründete er „Rheinbahn intim“, einen Account auf Twitter, Facebook und Instagram.

Vor vier Jahren fuhr Dörtoluk im Hochsommer mit der Linie 712. Es war brütend heiß und die Bahn stand im Stau. Da schnappte er ein Gespräch von zwei Damen auf, die über ihre Familie, Freunde und Bekannte lästerten. „Sie fühlten sich wie auf der Couch im Wohnzimmer“, erzählte er. Schon da war er verwundert, wie offen die Menschen über private Angelegenheiten in der Bahn sprechen. Er als jahrelanger Autofahrer war aus gesundheitlichen Gründen eine ganze Zeit lang auf den ÖPNV angewiesen. Als dann die vielen Baustellen für das neue Netz hinzukamen, entschied er sich, komplett auf die Rheinbahn umzusteigen. Aufgrund seiner Arbeit fährt er viel durch Düsseldorf – hauptsächlich Tarifzone A. Der selbsternannte „Whistleblower der Tarifzone A“  ist als selbstständiger Fotograf tätig, macht aber auch Videos, verwaltet Social-Media-Kanäle und gibt Kurse. Die Agenturen, für die er arbeitet, nennen ihn eine „Allzweckwaffe“.

Die Herausforderung: 140 Zeichen
Nicht nur in den Bahnen lauscht der 43-Jährige bei Gesprächen anderer: „Wenn ich morgens meine Brötchen hole oder einkaufen gehe, dann laufe ich an einigen Haltestellen vorbei. Wenn dann die Leute aus der Bahn aussteigen und ich mitten durchgehe, dann schnappe ich auch jedes Mal etwas auf“, erklärt er. Seine Herausforderung ist dabei, die lustigen Aussagen – mit Name und Alter – auf 140 Zeichen für einen Tweet bei Twitter zu kürzen. Die Zitate postet er nicht immer direkt: „Manchmal muss ich mir überlegen, wie ich die Zitate kürzen kann, ohne dabei den Sinn und den Witz zu zerstören.“ Die Namen sind natürlich nicht die richtigen, die weiß Dörtoluk in den meisten Fällen ja nicht. Er möchte auch keine Person auf das Zitat festnageln. Name und Alter sollen lediglich dazu dienen, ein Bild im Kopf des Lesers zu erzeugen. Und natürlich spielt er dabei auch ein bisschen mit den Klischees: „Manche sehen einfach aus wie Chantal, Vanessa, Murat oder Kevin.“ Dörtoluk ist sowohl auf Twitter als auch auf Facebook und Instagram unterwegs. Seine Fangemeinde bei Twitter ist mit 28,5 Tausend Followern etwas größer als bei Facebook (etwa 15.400 „Likes“) und Instagram (etwa 950 „Likes“). Zu Beginn hat er das Ganze eigentlich mehr für sich und ein paar wenige Fans gemacht. „Ich habe die Sachen meistens morgens gepostet, wenn nicht so viele online sind“, erklärt Dörtoluk. Dadurch war die Aufmerksamkeit am Anfang eher gering, aber ihm hat es einfach Spaß gemacht, die lustigen Geschichten mit der Welt zu teilen. Das Interesse wurde dann größer, als er zu Zeiten postete, wo mehr Leute online sind. Jetzt ist Dörtoluk von den Zeiten flexibel und teilt die Zitate, wenn er sie aufschnappt.

Die Bahn ist nicht die Couch im Wohnzimmer
Drei Jahre lang wusste keiner, wer hinter „Rheinbahn intim“ steckte, nicht einmal seine eigenen Freunde. Aufgedeckt hat es dann vor etwa zwei Jahren ein Journalist von der Rheinischen Post, der ihn um ein Interview bat. Er möchte den Menschen aufzeigen, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht der richtige Ort für private Gespräche sind. „Viele machen sich Sorgen über die NSA, Google und Co. und darüber, dass man abgehört wird oder die Privatsphäre verletzt wird, aber in der Bahn oder im Bus geben die Leute alles preis. Das zeigt mir, dass die Menschen nur eine sehr vage Vorstellung vom Begriff ,Privatsphäre‘ haben. Rheinbahn intim macht das Thema greifbar“, verdeutlicht er.

Eigenes Buch veröffentlicht
Dörtoluk stellt seinen Kanal „Rheinbahn intim“ inzwischen schon auf einigen Events vor. Anfang August hat er sein Buch „Du hast mir das Kind gemacht, nicht ich“ veröffentlicht und damit ein größeres Projekt abgeschlossen. Der Wunsch nach einem Buch wurde an ihn herangetragen, da es sich auch perfekt als Geschenk eignet.

Bei unserem Interview in der Bahn erzählt er noch etwas mehr über Rheinbahn intim und seinen Bezug zur Stadt:

Aus datenschutzrechtlichen Gründen benötigt YouTube Ihre Einwilligung um geladen zu werden. Mehr Informationen finden Sie unter Datenschutzerklärung.
Akzeptieren